„Wer den Leser kennt, der thut Nichts mehr für den Leser. Noch ein Jahrhundert Leser — und der Geist selber wird stinken. Dass Jedermann lesen lernen darf, verdirbt auf die Dauer nicht allein das Schreiben, sondern auch das Denken. Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum Menschen und jetzt wird er gar noch Pöbel.“
schrieb Friedrich Nietzsche vor über einem Jahrhundert in seinem Zaratustra.
Was Nietzsche wohl über die Sozialen Medien gesagt hätte, in denen jeder seine Meinung in die Welt hinausposaunen kann und viele, ungeachtet ihrer Kompetenzen eine beahtliche Schar Klakeure hinter sich versammeln kann, lässt sich nur erahnen.
Dabei ist das Phänomen nicht neu: Schauspieler, Fernsehköche, Musiker und Sportler und Models, kurz, Personen die ohnehin schon in der Öffentlichkeit stehen nutzten schon vor dem Internet ihre Position um ihren Ansichten zu gesellschaftlichen und politischen Themen kund zu tun.
Doch mit dem Aufstieg der Sozialen Medien, vor allem Instagramm und Twitter, erblickte eine neue Spezies das Licht der Welt: Der Influencer (m/w/d). Auch wenn man in erster Linie an werbebasierte Geschäftsmodelle denkt, so haben sich viele Influencer auch idealisitscheren Zielen verschrieben, nämlich der Verbreitung gewisser Meinungen, Ansichten und Lebensstile. Der ÖRR hat die Zeichen der Zeit erkannt und betreibt mit FUNK einen mit üppigen finanziellen Mitteln ausgestatten Auftritt in den sozialen Medien um schon die jüngeren Zuschauer „unabhängig zu informieren“. Böse Zungen behaupten zwar, FUNK sei ein stramm links ausgerichtetes Beeinflussungswerkzeug, aber wer das sagt ist bestimmt einfach nur selbst ein Nazi und es hat nichts mit fragwürdigen Charakteren wie dem offen rassistisch agierenden Tarik Tesfu oder dem Chefrelativierer Rayk Anders zu tun. Letzterer hatte zwar in seiner Doku „Lösch Dich“ nachweislich Interviews irreführend zusammengeschnitten, wurde aber dennoch mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Haltung ist einfach wichtiger als journalistische Standards.
Doch heute geht es nicht um Funk, sondern um die SPD-Influencerin Marie von Benken. Da ich seit Jahren nicht mehr Germanys Next Topmodel schaue, ging diese Charaktere ziemlich an mir vorbei, bis ich sah, dass sie auf Twitter sehr aktiv ist und sich, zu einer Reihe politischer Themen äußert. In der Regel plappert sie eben, mit leidlich komischem Wortwitz und aufgesetzter Schlagfertigkeit, die Mainstream-Positionen zu tagesaktuellen Themen nach.
Problematisch wird es aber, wenn sich Frau von den Benken selbst äußern muss. Über Models und Influencerinnen kursieren leider viele Voruteile. Um so trauriger ist es, wenn diese Vorurteile vollumfänglich bestätigt werden. So zeigt sich dass ihre intelektuell klingenden Beiträge wohl doch eher inteletkuell klingen als dass da wirklich Substanz dahinter stecken würde. Auslöser war folgender Kommentar:

„China wird mit seiner Energie-Strategie die globale Temperatur um 0,2 Grad senken. Deutschland wird es gleichzeitig nichtmal schaffen, nur um 1,5 Grad zu erhöhen. Solange das so ist, kann China auch 200.000 Kohlekraftwerke bauen. Das sollten sogar sie begreifen, oder?“
Wahrscheinclih geht es Ihnen wie mir und sie können auch nach mehrmaligem Lesen sich keinen Reim auf das Geschrieben machen. „China senkt die globale Temperatur“ – Das Land mit dem höchsten CO2-Ausstoß der Welt senkt die globale Temeperatur? Interessant, wo China doch mit 11,5 Mrd. Tonnen der weltweit größte Emittent von CO2 ist, während Deutschland gerade einmal 0,7 Mrd. Tonnen verursacht.

Ausserdem – wie kann China überhaupt die „globale Temperatur“ senken? Macht man dazu die Klimaanlage an und das Fenster auf? Zu dieser Zahl kann ich nirgends etwas finden (Quellen angeben ist ja auf Twitter auch stets zu viel verlangt). Ausserdem sinkt Deutschlands CO2 Ausstoß. während der von China exponentiell anwächst.
Aber weiter, das einzige was ich mir zusammenreimen kann: Deutschland kann wahrscheinlich das 1,5 Grad Ziel der Pariser Übereinkunft nicht einhalten – also nicht die sich selbst gesteckten Ziele zur CO2-Einsparung erfüllen. Ok.
Aber „Solange das so ist, kann China noch 200.000 Kohlekraftwerke bauen. Dass sollte sogar Sie begreidfen“? Nein. Sorry. Begreife ich nicht. Also stößt Deutschland so viel CO2 aus, dass 200.000 zusätzliche Kohlekraftwerke in China keine Rolle spielen? Das eine Milchmädchenrechnung zu nennen wäre eine Beleidigung aller Milchmädchen. Man wird wohl die Redewendung „Influencer-Mathematik“ einführen müssen um das Ausmaß an Fehleinschätzung zu erfassen.
Doch wie kommt Frau von den Benken überhaupt auf diese Thesen? Ein Teil der Erklärung finde ich weiter unten im Threat und bin schockiert. Nein. Nein, so doof kann man nicht sein.

Setzt sie wirklich den Prokopf Ausstoß an CO2 mit den absoluten Emissionen gleich? Sie tut es wirklich. Sie kennt den Unterschied nicht. Es ist nicht das erste Mal, dass mir dieses Phänomen begegnet, ich kenne es aus der Diskussion über Migrantenkriminalität: „Die meisten Straftaten werden in Deutschland von Deutschen begangen“ – man setzt die Zahlen nicht ins Verhältnis zum Bevölkerungsanteil, sondern geht nur von den absoluten Zahlen aus. Eine Viertel Million Follower hören auf eine Frau, die nicht in der Lage ist Zahlen ins Verhältnis zu setzen, die den Unterschied zwischen Pro-Kopf und Gesamt-Ausstoß nicht kennt.
Der Prokopf-Ausstoß ist fürs Klima relativ unerheblich, es zählt der Gesamtausstoß und der wird sich in China bis zum Jahr 2030 voraussichtlich um 40% erhöhen. Deutschland mit einem CO2-Anteil der weltweiten Emissionen von gerade einmal 2% spielt dabei so gut wie keine Rolle. Chinas Anteil liegt der Zeit bei 30%, Tendenz steigend.
Da ich leider zwischenzeitlich geblockt wurde, kann ich die Diskussion nicht weiterverfolgen. Ist vielleicht aber auch ganz gut für meinen Blutdruck. Nach etwas Nachdenken, komme ich zu dem Schluss, dass Marie von der Benkens Motivation wohl war das Argument zu entkräften, dass Deutschland mit gerade 2% Anteil am globalen CO2-Ausstoß so gut wie keine Rolle spielt. Das wohlwollendste was man dazu sagen kann ist, dass ihr das nicht gelungen ist.
