In den letzten Jahren wurden wir immer wieder Zeuge verstörender Szenen von Migranten die auf der Flucht aus den Entwicklungsländern versuchen, nach Europa zu gelangen. Besonders ergreifend sind die Bilder von jungen Männern aus Schwarzafrika, die versuchen die Sperrzäune in Richtung der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko zu überwinden:
Sehen wir von der Frage ab, ob Spanien diese Enklaven an Marokko zurück geben sollte, so ist die Entschlossenheit der Migranten bemerkenswert, die nach Europa reisen wollen. Sie sind illegal nach Marokko eingereist und dürfen von dort illegal in ein anderes Land einreisen – ziemlich sicher mit stillschweigender Genehmigung der marokkanischen Behörden. Seltsam mutet auch der Anblick der jungen Männer an, marokkanischen Behörden. Auffällig ist auch der Anblick der jungen Männer, die „Freiheit“ rufen und sich bei ihrer Ankunft in den Enklaven in die EU-Flagge hüllen. In Wirklichkeit sind sie alles andere als frei. Es ist sehr unwahrscheinlich ist, dass die spanischen Behörden ihnen Asyl und Aufenthaltsrecht gewähren. Handelt es sich bei ihnen nicht um Flüchtlinge, sondern um illegale Wirtschaftsmigranten, wird man sie wieder ausweisen. Wirklich abschrecken, werden diese Maßnahmen zukünftige Migranten nicht.
Oft hört man, dass solche Bilder ein Indiz der europäischen Herzlosigkeit seien. Wesentlich seltener hört man, dass es sich um ein Indiz für die Unfähigkeit derjenigen handelt, die jetzt seit mehr als einem halben Jahrhundert über Europas ehemalige Kolonien herrschen. Die postkolonialen Regierungen sind beinahe ausmahmslos katastrophal gescheitert. Es ist naiv zu behaupten, die Migrationskrise der letzten Jahre sei die Folge westlicher Interventionen in den Ländern, aus denen so viele fliehen. Dies trifft bestenfalls teilweise zu. Zwar stammt eine erhebliche Anzahl von Migranten aus Afghanistan, dem Irak und Libyen, doch die größte Zahl seit 2013 ist vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen, in dem kaum westliche Militäreinsätze statt gefunden haben.
Auch die Migranten aus Schwarzafrika sind nicht auf der Suche nach Schutz vor westlichen Militäreinsätzen. Sie versuchen der Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und Hoffnungslosigkeit in ihren eigenen Ländern zu entkommen, die von ihren eigenen Herrschern geschaffen wurden. Vierzig Jahre nach der Unabhängigkeit ist die Wirtschaft Simbabwes am Boden. Im November 2019 warnte der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, dass 60 Prozent der Bevölkerung „lebensmittelunsicher“ sind, d. h. „die Menschen in Simbabwe nähern sich langsam einer menschengemachten Hungersnot. Dass so viele versuchen nach Europa zu gelangen – und dass es viele noch versuchen werden – ist verständlich, da sich dort bereits Dutzende Millionen Menschen aus den Entwicklungsländern niedergelassen haben. Diese Migranten glauben, dass sich ihre Perspektiven unter der Führung der demokratisch gewählten Führer Europas und der liberalen Institutionen und Gesetze des Kontinents erheblich verbessern werden.
Die Zahl der auswanderungswilligen Menschen ist sehr hoch: Eine im Dezember 2018 durchgeführte Gallup-Umfrage ergab, dass 750 Millionen Menschen weltweit dauerhaft in ein anderes Land migrieren möchten – das sind 10 Prozent der Weltbevölkerung. Die favorisierten Migrationsziele liegen wenig überraschend in überwiegend in Europa und Nordamerika. Der größte Prozentsatz der Befragten (33%), die zwischen 2015 und 2017 angaben migrieren zu wollen, lebte in Afrika südlich der Sahara. Im Vorfeld des 50. Jahrestages der Unabhängigkeit Jamaikas im Jahr 2011 berichtete die jamaikanische Zeitung „The Gleaner“, dass erstaunliche „60 Prozent der Jamaikaner der Ansicht waren, dass es dem Land besser gegangen wäre, wenn es eine Kolonie Großbritanniens geblieben wäre. Umgekehrt gaben 17 Prozent der Befragten an, dass es dem Land schlechter gehen würde, wenn es eine britische Kolonie bleiben würde, während 23 Prozent angaben, es nicht zu wissen.“
Ein Zeugnis der Schande
Ein ähnliches Gefühl dürfte in vielen anderen ehemaligen Kolonien vorherrschen, in denen jahrzehntelange Unabhängigkeit kaum Fortschritt gebracht hat. 2007 rief der sudanesische Milliardär Mo Ibrahim den „Ibrahim Prize for Achievement in African Leadership” (Ibrahim-Preis für besondere Leistung in der Führung Afrikas“ ins Leben. Mit dem Preis sollten ehemalige afrikanischen Staats- und Regierungschefs ausgezeichnet werden, die folgende Kriterien erfüllen: Sie müssen ihr Amt in den letzten drei Jahren niedergelegt haben; sie müssen demokratisch gewählt worden sein; sie müssen eine verfassungsmäßige Amtszeit abgeleistet haben; und sie müssen sich durch außergewöhnliche Führung ausgezeichnet haben. Der Preis ist mit einer Summe von 5 Millionen US-Dollar dotiert sowie weiteren 200.000 Dollar jährlich lebenslang. In den Jahren 2009, 2010, 2012, 2013, 2015, 2016 und 2018 konnte der Preis nicht vergeben werden, da kein Kandidat die Voraussetzungen erfüllen konnte. Ein Zeugnis der Schande.
Es ist unverzeihlich, dass die Machthaber der Länder, aus denen die Bürger versuchen nach Europa zu fliehen, kein Wort über die Tragödien im Mittelmeer verlieren und dass sie sich nicht bemühen, die Leichen der Toten nach Hause zurückzubringen. Die westlichen Medien bezeichnen dieses Problem fälschlicherweise als „Europäische Migrationskrise“ und konzentrieren sich ausschließlich auf das Versagen europäischer Politiker und Institutionen. Geflissentlich übersehen sie die Fehler der Regime in den Heimatländern der Migranten und verkennen die tragende Rolle, welche die Machthaber dieser Länder spielen. Denn diese Krise ist in erster Linie eine Krise der Herkunftsländer, nicht die Europas.
Gelegentliche Ausnahmen zeigen, wie wichtig es ist die Entwicklung in den Herkunftsländern in die Berichterstattung miteinzubeziehen. In einer CNN-Reportage von 2017 wurde berichtet, dass afrikanische Migranten auf Sklavenmärkten in Libyen verkauft wurden. Dieser Bericht veranlasste die nigerianischen Behörden einige ihrer Bürger nach Hause zu retten.
Nigeria ist Afrikas größte Nation und verfügt über beachtliche Erdölvorkommen. Unter einer effektiven Führung hätte sich das Land zu einer wohlhabenden Nation entwickeln können. Statt dessen verschwendeten einige der schlimmsten Kleptokraten, die diese Welt jemals gesehen hat den Ölreichtum, der andernfalls zu einer Verbesserung des Lebensstandards vieler Bürger hätte beitragen können.
Man fragt sich angesichts dieser Entwicklung, wie viel Prozent der nigerianischen Bevölkerung bei einer Umfrage wohl angeben würden, dass es dem Land besser gehen würde, wäre es britische Kolonie geblieben. Ein viktorianischer Kolonialist würde darin wohl die Gültigkeit dessen bestätigt sehen demonstriert, was Rudyard Kipling die „Bürde des Weißen Mannes“ nannte. Der vollständige Titel von Kiplings berüchtigtem Gedicht von 1899 lautet „Die Bürde des Weißen Mannes: Die Vereinigten Staaten und die philippinischen Inseln“ und es wurde geschrieben, um die USA davon zu überzeugen, dass es die moralische Verpflichtung westliche Männer wäre, die Philippinen zu kolonisieren und zu zivilisieren.
Die Push- und Pull-Faktoren bleiben unangetastet
Heute ist die Bürde des Weißen Mannes umgekehrt worden – es ist nicht die Pflicht des Westens sich vor Ort niederzulassen, sondern alle Migranten willkommen zu heißen, die den weißen Mann (und die weiße Frau) anflehen, für das zu sorgen, was ihre eigenen Herrscher nicht zu leisten im Stande sind: ausreichende Nahrung, angemessene Unterkunft, Arbeit, Bildung , Gesundheitswesen und so weiter – die Grundlagen für ein glückliches und sorgenfreies Leben. Die Führer der Herkunftsländer – ob nun demokratisch gewählt oder nicht – sollten sich gründlich dafür schämen. Aber die westlichen Nationen zögern, dieses Fehlverhalten anzusprechen. Sie sind zu sehr gehemmt von ihrer eigene beschämenden Geschichte. Selbstgeißelung tritt an die Stelle konstruktiver Kritik und Selbstgefälligkeit an die Stelle konstruktiven Handelns. Die Push- und Pull-Faktoren bleiben unangetastet, welche die globalen Migrationsbewegungen vom Süden in den Norden verursachen.
Allerdings zeigt sich mittlerweile, dass viele Europäer diese neue Bürde des Weißen Mannes nicht auf sich nehmen wollen. Sie sehen sich nicht in der moralischen Verpflichtung für das Versagen anderer aufzukommen und fangen an Politiker zu wählen, die das ähnlich sehen.
Der Zustrom von Migranten in den letzten Jahren hat zu einer unvermeidlichen Gegenreaktion gegen die Masseneinwanderung und zu einer Nulltoleranz gegenüber illegaler Einwanderung geführt. Damit einher geht der Aufstieg von von Populisten und Demagogen, die sich (zumindest in ihrer Rhetorik) dazu verpflichtet haben, diese zu beenden. Parteien, die sich mit Nachdruck gegen Migration einsetzen, haben auf dem gesamten Kontinent an Stärke gewonnen.
Ungeachtet dessen, dürfen die Europäer nicht weiterhin die tiefgreifenden Probleme der Entwicklungsländer ignorieren, die so viele dazu veranlassen, den gefährlichen Weg für ein besseres Leben zu wagen. Es kann in diesem Zusammenhang keine einfachen Lösungen geben, aber Europa sollte durch nachhaltige Beratung und Unterstützung dazu beitragen, die Verwaltung von scheiternden und gescheiterten Staaten zu verbessern. Bisher wurde dies über Entwicklungshilfe versucht, leider mit mäßigem Erfolg.Als Reaktion auf die Migrationsbewegungen plädierte das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit bereits 2017 für einen „Marshall-Plan“ mit Afrika, der anerkennt, dass die Afrikaner ihr Leben riskieren um nach Europa zu gelangen, weil es in ihren eigenen Ländern an Entwicklungsmöglichkeiten mangelt – eine durchaus positive und ermutigender Vorstoß. Allerdings zeigen die anderen EU-Staaten wenig Interesse an diesen Bemühungen.
Wenn Initiativen wie diese den Fokus auf eine verbesserte Regierungsführung und die Eindämmung von Korruption legen, könnten sich die Aussichten auf eine nachhaltige Entwicklung Afrikas und des globalen Südens erheblich verbessern. Dies wird irgendwannhoffentlich der lebensgefährlichen Flucht von Migranten und der neuen Bürde des Weißen Mannes ein Ende setzen.
„The New White Man’s Burden“
von Rumy Hasan
erschienen bei Quillette
-Aus dem Englischen von Aischa Schluter – ich hoffe ich verletze nicht irgendwelche Rechte…oder Linke