„Keine Waffen in Krisengebiete“ ist ungefähr so sinnvoll wie „keine Bluttransfusionen während Operationen“ oder „keine Rente für Menschen über 80“.
Gerade in Krisengebieten werden Waffen am dringendsten gebraucht. Und zwar in erster Linie zum Schutz von Leib und Leben der Zivilbevölkerung gegen Angriffe von Aggressoren, nicht um „den Konflikt anzuheizen“.
Die Partei-, Wahl- und Grundsatzprogramme roter und grüner Parteien sind regelmäßig vollgestopft mit solchen linkspopulistischen Parolen, über deren Implikationen und Konsequenzen sich die Autoren scheinbar keine Sekunde lang Gedanken machen. Umso begrüßenswerter, dass ALB diesen weltfremden Grundsatz ihrer Partei einfach kurzerhand abräumt.
Ein bisschen Schadenfreude über die Enttäuschung pazifistischer Grünenwähler kann ich mir nun auch nicht verkneifen – für die meisten Anhänger anderer deutscher Parteien sind derartige Enttäuschungen ja an der Tagesordnung.
Kapitulation beendet nicht das Blutvergiesen
Ich habe eine Handvoll normalerweise grundstabiler konservativer Freunde in der Facebook-Bubble, die beim Ukrainekrieg auf Abwege geraten und mindestens naiven pazifistischen Träumereien nachhängen. Oft höre ich aus dieser Ecke, die Ukrainer sollten einfach kapitulieren und die Russen gewähren lassen, damit nicht noch mehr Menschen sterben.
Das Blutvergießen würde aber doch nur enden, wenn die Ukraine den Krieg gewinnt und die russische Armee sich zurückzieht. Würde Russland gewinnen und zur Besatzungsmacht werden, würde der Genozid erst anfangen.
Schaut euch bitte an, was in Butscha, Cherson, Trostjanez oder Makariw passiert ist. Überall, wo Kampfhandlungen aufgrund fehlenden ukrainischen Widerstands vorübergehend zum Erliegen gekommen sind und die russische Armee temporär die Kontrolle übernommen hat, ging das Gemetzel los. Überall Hunderte Zivilisten bestialisch gefoltert, vergewaltigt und ermordet. Was Leben schützt, ist militärischer Widerstand. Die Beendigung von Kriegshandlungen zum jetzigen Zeitpunkt würde weniger als nichts zur Rettung von Menschenleben beitragen.
Pazifisten haben zuweilen eine merkwürdige Art, über Krieg zu sprechen, als wäre der Krieg selbst ein handlungsfähiges Subjekt. Der Krieg kann aber keinen Abzug drücken. Der Krieg feuert keine Mörsergranaten ab und fliegt keine Kampfjets. Es ist nicht „der Krieg“, der Zehntausende unschuldige Menschen in der Ukraine tötet. Das tun die Russen. Das pazifistische Weltbild stellt die Realität genau auf den Kopf. Wenn sie nicht mehr bekämpft werden, stellen russische Soldaten das Morden doch nicht ein, sondern fangen erst richtig an damit.
Links, zwo drei vier
Bei Gewalttaten gibt es in der Regel einen Aggressor und ein Opfer, eine stärkere und eine schwächere Partei. Mein erster Impuls bei Gewalt ist immer, mich auf die Seite des Opfers und gegen den Aggressor zu stellen, unabhängig davon, wer stärker oder schwächer ist.
So finde ich mich regelmäßig in Opposition zu manchen Linksautoritären, die reflexartig das Gegenteil machen, sich konsequent hinter Aggressoren und gegen deren Opfer stellen. Diese Linken unterstützen z. B. den Hamas-Terror im Nahostkonflikt genauso wie Putins Angriffskriege.
Dann gibt es eine Gruppe (ebenfalls häufig Linke), die sich bei jedem Konflikt konsequent auf die Seite der schwächeren und gegen die stärkere Partei stellt, unabhängig davon, wer Aggressor und wer Opfer ist, wer sich moralisch im Recht befindet und wer Unrecht begeht. Diese Gruppe hat in der Vergangenheit oft Russland unterstützt, als der Eindruck erweckt wurde, es würde sich im Konflikt mit der mächtigen NATO befinden, wendet sich nun aber gegen Russland, da es die schwächere Ukraine angegriffen hat. Ich rechne damit, dass diese Gruppe die Ukraine nur unterstützt, solange diese als schwächer gilt, aber erneut die Seite wechseln würde, wenn sich die Kräfteverhältnisse änderten.
Schließlich gibt es die Anhänger des Gesetzes des Dschungels, zu denen die „konservativen Pazifisten“ in meinem Freundeskreis offenbar auch gehören: Russland ist stärker als die Ukraine, daher sollten die Ukrainer kapitulieren und den Russen einfach geben, was immer sie wollen.
In dieser Ecke geriert man sich gerne als Verantwortungsethiker, verschwendet aber keinen Gedanken an die Konsequenzen, würde die globale Friedensordnung der vergangenen Jahrzehnte aus den Angeln gehoben und durch das Recht des Stärkeren ersetzt.
Pazifisten auf Seite des Aggressors
Gegen den Vorwurf der Parteinahme für den Stärkeren haben die Pazifisten (aller Couleur) eine wohlfeile und allzu durchsichtige Verteidigung parat: Sie seien ja gar nicht pro Putin, sondern neutral gegenüber beiden Konfliktparteien, und lediglich gegen Krieg.
Zunächst mal ist es in meinen Augen direkt verdächtig, wenn jemand sich weigert, den Aggressor zu verurteilen und das Opfer zu unterstützen, mit der Begründung, Äquidistanz zwischen beiden sei die richtige Haltung. In der Folge entlarven diese Pazifisten ihre Parteinahme aber regelmäßig selbst, denn buchstäblich alles, was sie sagen und fordern, läuft darauf hinaus, Leid und Tod über die Ukraine zu bringen sowie Russland zum Sieg zu verhelfen.
Der Pazifist ruft die Ukrainer zur Niederlegung ihrer Waffen auf, damit der Krieg endet. Warum ruft er nicht stattdessen die Russen zur Niederlegung ihrer Waffen auf?
Den Unterstützern der Ukrainer, die um ihr nacktes Überleben kämpfen, wirft er „Bellizismus“ vor, nicht aber den Unterstützern Russlands, das den Krieg durch Rückzug seiner Truppen im Handumdrehen und ohne eigene Verluste beenden könnte.
Er versucht, die ukrainische Moral mit der Behauptung zu zersetzen, ihre Verteidigung sei ohnehin chancenlos, Russland würde am Ende sowieso gewinnen, besser also gleich kapitulieren. Dass Russland unter dem Strich gar nicht gewinnen kann, sondern in jedem Fall umso schlechter dastehen wird, je länger es die Aggression fortsetzt, ist für den Pazifisten hingegen kein Grund, Appelle gegen Moskau zu richten.
Russlands BIP bricht dieses Jahr um über 10 % ein, seit der totalen Mobilmachung schießen die Kriegskosten durch die Decke, die russische Armee verliert jeden Tag Kriegsgerät im Wert eines dreistelligen Millionenbetrags. Der Pazifist lehnt jedoch selbst nichtmilitärische Maßnahmen wie Wirtschaftssanktionen ab, diese würden Putin angeblich nicht kratzen. Ich glaube, der Pazifist WILL Putin bloß nicht stoppen. Auf jeden Vorschlag, Putin mehr Steine in den Weg zu legen, reagiert der Pazifist ganz fuchsig: das sei ja die reinste Kriegstreiberei und Kriegsgeilheit. Die Aussicht, dass Putin seine Angriffskriege fortsetzen und sogar noch ausweiten könnte, bereitet dem Pazifisten hingegen verdächtig wenig Sorgen.
Der Pazifist gibt sich als Warner und Mahner, ruft die Verbündeten der Ukraine zur Zurückhaltung und Besonnenheit auf. Russland und seine Verbündeten warnt und mahnt er hingegen nicht, von Putin fordert er keine Zurückhaltung und keine Besonnenheit.
Hilfe für die Ukraine dürfe nicht zu einer Eskalation führen. Gegen die russische Strategie der Maximal-Eskalation hat der Pazifist aber nichts einzuwenden.
Putins Drohungen sollte man unbedingt ernst nehmen. Andere Länder dürfen hingegen auf keinen Fall Drohungen gegen Putin aussprechen, sie sollen verbal abrüsten.
Richtig wundern kann sich darüber eigentlich niemand, der die deutsche „Friedensbewegung“ schon länger beobachtet. Es geht ja bereits seit 30 Jahren so: Wenn die USA zusammen mit NATO-, aber auch mit Nicht-NATO-Staaten einen bereits Jahre zuvor angekündigten humanitären UN-Einsatz mit 3.000 bis 5.000 Soldaten in der Westukraine übt, dann trommeln die pazifistischen Freunde Russlands hierzulande auf ihre Tastaturen ein, um es zu einem „Säbelrasseln“ und einer „Aggression“ zu erklären.
Wenn Russland dagegen Atombombenabwürfe auf Schweden oder Polen übt – Stichwort „Zapad“ – quittiert die Fünfte Kolonne Moskaus das mit gellendem Schweigen.
Wenn Russland Nachbarländer bedroht, Teile von ihnen annektiert oder besetzt, hat der friedensbewegte Deutsche kein Problem damit. Wenn Finnland aufgrund dieser Bedrohung den Beitritt zur NATO erwägt: Provokation und Säbelrasseln.
Provokation
Ein paar Hundert Blauhelme führen eine humanitäre Übung durch: Säbelrasseln. Russland lässt über 100.000 Soldaten (!) in „Snap Exercises“, also unangekündigten und praktisch über Nacht stattfindenden Manövern, die Eroberung von Nachbarländern an Russlands Westgrenze üben: kein Säbelrasseln.
Deutschland liefert ein paar Schutzhelme an die Ukraine: Säbelrasseln. Russland dringt mit atomwaffenbestückten Kampfbombern in schwedischen Luftraum ein: kein Säbelrasseln.
Einer dieser „Pazifisten“ gab den Ukrainern unlängst sogar die Schuld daran, dass Russland Mariupol dem Erdboden gleich gemacht hat: Da die Verteidiger Deckung in Wohnhäusern und andern Gebäuden gesucht hatten, sei den Angreifern ja gar nichts anderes übrig geblieben, als diese Häuser unter Artilleriebeschuss zu nehmen. Da es vorgekommen ist, dass ukrainische Zivilisten auf russische Soldaten geschossen haben, hätten russische Soldaten gar keine andere Wahl, als ihrerseits ebenfalls Zivilisten zu beschießen.
Es ist eine kuriose Ethik: Völkermord bereitet so einem Pazifisten keine schlaflosen Nächte. Mit militärischer Aggression, brutaler Diktatur, Verfolgung und Vertreibung hat der Friedensbewegte kein Problem. Das Recht des Stärkeren begrüßt er ausdrücklich. Selbst Krieg geht für den Pazifisten in Ordnung, solange sich alles mehr oder weniger geräuschlos abspielt. Aber wehe, wenn ein Opfer sich wehrt oder Dritte dem Opfer zu Hilfe kommen. Dann tritt der Pazifist auf den Plan und verlangt, diese Gegenwehr müsse sofort unterbleiben. Insbesondere schwächere Opfer hätten kein Recht auf Selbstverteidigung. Wie im Fall der Ukraine beinhaltet diese Verteidigung ja Kriegshandlungen, und Krieg in diesem Sinne will der Pazifist verhindern. Nicht unbedingt und nicht mit allen Mitteln aber, sondern nur auf eine ganz spezielle Weise. Krieg darf nämlich nicht dadurch beendet werden, dass man dem Aggressor das Handwerk legt. Auch darf niemand dem Opfer zu Hilfe kommen, insbesondere dann nicht, wenn das Opfer schwach ist. Das einzig legitime Mittel zur Beendigung von Krieg besteht in den Augen des Pazifisten darin, dass das Opfer die Gegenwehr einstellt und den Aggressor alles mit sich machen lässt. Diese drei Prinzipien sind im Grunde alles, was den Pazifismus ausmacht: 1. Der Schwächere muss den Stärkeren gewähren lassen, 2. Opfer von Gewalt dürfen sich nicht wehren, 3. niemand darf Opfern zu Hilfe kommen.
Aus der Geschichte der Völker können wir lernen, dass die Völker nichts aus der Geschichte lernen
Es ist immer wieder bemerkenswert, wie sich Menschen die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts anschauen können, nur um dann haargenau die falschen Schlüsse daraus zu ziehen und die Kardinalfehler dieser Zeit bei möglichst jeder Gelegenheit zu wiederholen suchen.
Das Massaker von Srebrenica, das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, hätte nicht stattfinden können, wenn das niederländische Bataillon vor Ort die Schergen von Ratko Mladic aufgehalten hätte, anstatt tatenlos danebenzustehen und zuzuschauen, wie sie 8.000 Bosniaken regelrecht abschlachteten. In der Folge versuchten niederländische Militärs und Politiker auch noch, die Geschehnisse gezielt zu vertuschen. Zu spät war ihnen bewusst geworden, welche Schuld sie auf sich geladen hatten. Sie hätten helfen müssen. Aus Macht erwächst Verantwortung. Wer die Fähigkeit hat, so ein Massaker durch militärische Intervention zu verhindern, der hat die ethische Pflicht, dies auch zu tun. Als einige Jahre später das ganze Ausmaß dieses Versagens ans Licht kam und der Öffentlichkeit durch einen Untersuchungsbericht zur Kenntnis gebracht wurde, musste die komplette niederländische Regierung zurücktreten.
Der Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland war nicht falsch, sondern ganz im Gegenteil, begann zu spät. Ohne das Hitler-Appeasement von pazifistischen Schwächlingen wie MacDonald und Chamberlain hätten die Nazis wahrscheinlich 10 Mal weniger Menschen umbringen können. Die richtige Lehre aus der Nazizeit lautet doch gerade nicht nie wieder Krieg, sondern nie wieder Auschwitz, nie wieder Appeasement, nie wieder Pazifismus! Ich bin heilfroh, dass der Einfluss dieser elenden Ideologie in der deutschen Regierung schwindet.
von Martin Motl