Grundsätzlich isses mir herzlich egal als was Kim de l’Horizon sich identifiziert. Aber da die Kulturamagzine ihn ja geradezuals Pionier feiern, frage ihc mich doch: Was genau feiern die denn da?
Sorry, aber ist nonbinär denn jetzt wirklich etwas besonderes? Was Neues? Gab es jahrhundertelang Gesetze gegen Nonbinäre, haben sie sich letztendlich von dieser Unterdrückung befreien können und traten aus dem Schatten halbseidener Nachtclubs und Parks ins Licht der Öffentlichkeit? Ja, Homosexuelle haben das getan. Und das ist feiernswert. Aber warum man jetzt die Nonbinären als die nächsten großen Selbstbefreier feiern sollte, erschließt sich mir nicht. Sind sie denn nicht Teil der LGBT-Community? Oder erfinden wir jetzt alle 5 Jahre ein neues Label, damit sich die Leute aufs Neue mit den Errungenschaften brüsten können als wäre wieder 1994? Kim wurde bereits in eine weitgehend befreite Welt hineingeboren. Er steht allenfalls auf den Schultern derer, die etwas für die Freiheit riskierten, die er seit Geburt genießt.
Vielleicht liegt auch gerade darin das Problem – das es kaum noch etwas gibt, was Kim erstreiten müsste. Statt dessen wird sein homo-pornesker Roman mit dem Buchpreis ausgezeichnet. So überrascht auch nicht die „Solidaritätsbekundung“ mit den Protesten im Iran. Schön das Fähnchen im Wind. Wäre gerade Inifada hätte er sich wahrscheinlich via „Queers For Palestine“ mit islamistischen Homophoben solidarisiert.
Ein Nonkormist von der Stange
Nonbinarität ist ein eigens kreiertes Label von Leuten, die vorgeben Label überwinden zu wollen in dem sie Geschlechterrollen ironischerweise möglichst eng auslegen, um sie dann als überwunden zu erklären. Es reicht heute eben einfach nicht mehr bi oder gay zu sein. Das ist ja akzeptiert und schon wieder Mainstream.
Wäre er einfach nur wie er ist, dann würde ich denken: Schick, endlich mal wieder ein wenig Exzentrik im Literaturbetrieb. Aber weil er eben mit diesem gehypden Nonkonformistenlabel „nonbinär“ das ganze garnieren muss, denke ich: Meh. Muss man jetzt im 5-Jahresrythmus neue Selbstzuschreibungen erfinden um wieder als nonkonform zu gelten?
Das Label wird sodann auch von den Feullietons aufgegriffen als wäre es wirklich etwas besonderes anstatt das was ich oben schon beschrieben habe: Eine Selbstzuschreibung, die es nur gibt, weil anders nicht mehr anders genug ist.
DIE ANGST DES KRITIKERS VOR DER EMPATHIELOSIGKEIT
Sagen wir es rundheraus: kein Jurymitglied und kein Radiokritiker hätte sich so lobhudelnd über das Buch sowie die Dankes-Performance von Kim de l’Horizon geäußert, hätte er nicht eine „andere Identität“ als diese.
Jeder Maßstab an Menschen, von denen man gleiches erwartet wie von sich selbst, wird bei K.d.l’H. plötzlich abgelegt. Ein süchtiger Hedonistenhipster, der billige Aktionen nachmacht und, weil er nicht reden will, auf der Bühne einen Popsong singt (und das auch noch schlecht) – kein Kritiker hätte sich der Fremdscham dieser Nummer erwehren können, wäre, ja, wäre, Kim de l’Horizon einer von ihnen. Einer von den „normalen“ Menschen, die man bewertet wie man eben seine Mitmenschen bewertet.
Der Grund, warum die Fremdscham nicht wahrgenommen werden will, liegt darin, dass man einer Person mit „anderer“ Identität andere Wahrnehmung und andere Weisheit attestiert – und sich selbst attestiert, diese eben nicht zu besitzen. K.d.l’H. darf das tun, was an jedem anderen peinlich ist, weil „wir“ ihn/sie/es eben nicht verstehen können. Weil wir nicht in ihm/ihr drinstecken.
Und das wiederum: die eigene Unwissenheit, das eigene vermeintliche Unvermögen, die Welt aus dem Blickwinkel einer Person wahrzunehmen, die sich so ganz sichtbar von dem eigenen zu unterscheiden vorgibt – das darf auf keinen Fall ans Licht kommen.
EMPATHIE ist der Orden, den sich heute auch Kritiker anstecken möchten.
[Danke an meine liebe Freundin Judith KD, die einige Passagen beigesteuert hat]